Einfache Sprache? Was ist das? Wozu soll das gut sein, werde ich oft gefragt. Braucht man das? Nun, die Antwort ist leicht zu verstehen. Allerdings muss ich etwas ausholen, um sie verständlich zu machen.
Die Reise zum Verstehen
Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Flugzeug. Sie sind schon seit vielen Stunden unterwegs. Sie können kaum noch sitzen, sehnen sich danach, endlich anzukommen. Doch es dauert.
Endlich kommt die Durchsage. „Bitte schnallen Sie sich an. In wenigen Minuten erreichen wir unser Ziel.“ Die Maschine landet. In einem fremden Land. Sie verlassen das Flugzeug. Wenig später lassen Sie auch den Flughafen hinter sich.
Sie fahren in die Stadt und betreten unbekanntes Gelände. Weit weg von Zuhause, umgeben von Menschen, die Ihre Sprache nicht verstehen. Und Sie wissen, Sie werden hier leben.
Natürlich haben Sie vor der Anreise die Sprache gelernt. Sie verfügen über einen Grundwortschatz für das tägliche Leben. Und Sie sind Experte in der Fachsprache Ihres eigenen Berufs. Sie können einkaufen, Ihre Freizeit gestalten und Ihrer Arbeit nachgehen.
Gespräche, die sich nicht um den Beruf drehen, fallen Ihnen jedoch schwer. Ihnen fehlen tatsächlich die Worte. Auch anspruchsvolle Zeitungsartikel und Fernsehsendungen sind eine Hürde. Es gibt einfach zu viele Fremdwörter, Fachbegriffe und anspruchsvolle Grammatik. Das macht Sie ängstlich und unsicher. Manchmal fühlen Sie sich hilflos.
Nun, die Situation, in die Sie sich eben hinein gedacht haben, ist für viele Menschen in Deutschland heute Wirklichkeit. Nicht nur für Zuwanderer. Auch viele andere Menschen können Texte mit vielen Fremdwörtern, Fachbegriffen und schwieriger Grammatik nicht in allen Einzelheiten verstehen.
Die Lesefähigkeit in Deutschland
Wenn man sich Studien über die Lesefähigkeit in Deutschland anschaut, sieht man mit einem Blick, dass die Lesefähigkeit der Menschen sehr unterschiedlich entwickelt ist. Auch wenn die Zahlen, abhängig vom Versuchsaufbau der Studien, um einige Prozentpunkte voneinander abweichen.
4,5 Prozent der erwachsenen Deutschen können nicht richtig lesen Share on X4,5 Prozent der erwachsenen Bevölkerung können nicht lesen oder nur einzelne Worte erkennen. Weitere 36 Prozent können einzelne Sätze lesen, haben aber Schwierigkeiten mit zusammenhängenden Texten. (Quelle: Leo-Studie, Universität Hamburg)
Lediglich 0,5 Prozent der Bevölkerung sind in der Lage, Texte mit vielen Fremdwörtern, Fachbegriffen und schwieriger Grammatik sehr gut und in allen Einzelheiten zu verstehen. (Quelle: PIAAC-Studie, OECD) Eine Definition für diese winzige Personengruppe habe ich nicht gefunden. Ich nehme an, dass es sich dabei um die jeweiligen Experten für ein bestimmtes Fachgebiet handelt. Das ist ein echtes Problem, denn es sind genau diese Experten, die über ein Thema schreiben, um es der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Und natürlich schreiben diese Experten meist in ihrer Fachsprache.
95 Prozent der Bevölkerung verstehen also, abhängig von ihrer Lesefähigkeit, immer nur einen Teil der zugänglichen Informationen. Rund ein halbes Prozent versteht alle Einzelheiten eines Textes. Und 4,5 Prozent können gar nicht lesen. Doch mit welcher Sprache erreicht man die 95 Prozent Leser ohne Expertenwissen?
Weniger als 1 Prozent der Deutschen verstehen alle Einzelheiten eines Textes Share on XVerständliche Sprache für Leser ohne Expertenwissen
Leser ohne Expertenwissen sind keine einheitliche Gruppe. Es gibt Menschen, die Texte mit Fremdwörtern und anspruchsvoller Grammatik gut verstehen, auch wenn sie für das Thema des Textes keine Experten sind. Es gibt Leser, die nur Texte ohne Fremdwörter und schwierige Grammatik verstehen. Und es gibt einen Personenkreis, der Texte nur versteht, wenn sie in leichter Sprache geschrieben sind. Zum Beispiel Menschen mit Leseschwäche, Lernschwierigkeiten, Spracheinschränkungen oder Demenz.
Es ist schwierig, Zahlen für diese drei Gruppen zu nennen. Ich habe die Daten von zwei verschiedenen Studien gelesen und verglichen. Die Ergebnisse dieser Studien weichen in einigen Punkten voneinander ab, weil der Versuchsaufbau verschieden war. Ich schätze aber, dass die drei Gruppen ungefähr gleich groß sind und jeweils rund ein Drittel der Bevölkerung umfassen. Insgesamt habe ich für meine Arbeit drei wissenschaftliche Quellen zu Rate gezogen.
Die Leo.-Studie https://blogs.epb.uni-hamburg.de/leo/files/2011/12/leo-Presseheft_15_12_2011.pdf der Universität Hamburg bezieht sich nur auf Menschen mit eingeschränkter Lesefähigkeit.
Die PIAAC-Studie https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/36068 der OECD zeigt die Alltagsfähigkeiten von Erwachsenen im internationalen Vergleich. Im Bereich Lesefähigkeit untersucht die Studie nicht nur, wie gut die Teilnehmer lesen können, sondern auch, wie geschickt sie verschiedene Texte miteinander verknüpfen und Inhalte auswerten können.
Die Definition von leichter und einfacher Sprache der Bundeszentrale für politische Bildung nennt keine Zahlen, sondern beschränkt sich darauf, die Vorteile und Probleme von leichter und einfacher Sprache vorzustellen.
Leichte und einfache Sprache im Alltag
Die leichte Sprache kommt aus der Behindertenbewegung und wurde ursprünglich entwickelt, um Menschen mit Lernschwierigkeiten mehr soziale Teilhabe zu ermöglichen. Im Laufe der Zeit hat sich herausgestellt, dass man mit leichter Sprache auch Menschen mit Leseschwäche, Spracheinschränkungen und Demenz erreicht. Das heißt, mit Hilfe von leichter Sprache kann man Informationen für 95,5 Prozent der Bevölkerung zugänglich machen. Ein weiterer Vorteil der leichten Sprache ist: es gibt klare Regeln, die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales unterstützt werden.
Einfache Sprache verzichtet, in Abhängigkeit von der Zielgruppe, so weit wie möglich auf Fremdwörter und anspruchsvolle Grammatik. Fachbegriffe werden durch Beispiele ersetzt. Doch es gibt für die einfache Sprache in Deutschland keine einheitlichen Regeln.
Das heißt, Texte für eine überdurchschnittlich gebildete Zielgruppe können anspruchsvoll formuliert werden. Texte für eine weniger gebildete Personengruppe können sich, wenn nötig, den Regeln für leichte Sprache nähern. Das macht einfache Sprache interessant für die Kommunikation von Unternehmen, die möglichst viele Kunden erreichen wollen.
Einfache Sprache in der Unternehmenskommunikation
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- Gut verständliche Webseiten und Broschüren unterstützen Ihr Marketing. Sie sorgen dafür, dass mögliche Neukunden ihr Angebot genau verstehen.
- Briefe und Newsletter in einfacher Sprache erleichtern Ihren Mitarbeitern die Kundenberatung.
- Der Kunde hat weniger Fragen. Er ruft seltener an und braucht weniger Beratungstermine. Das spart Personalkosten.
- Gleichzeitig fühlt der Kunde sich gut aufgehoben. Das sorgt für Kundenzufriedenheit und Kundenbindung.
- Pressearbeit in einfacher Sprache erhöht die Reichweite bei Publikumsmedien.
Das hat einen einfachen Grund: die Redaktionen von Tageszeitungen, Nachrichtenportalen, Rundfunk und Fernsehen arbeiten in Schichten. Und es gibt Krankheits- und Urlaubszeiten. Das macht die Wahrscheinlichkeit, dass ausgerechnet der Experte für IHR Anliegen Dienst hat, wenn Sie in die Medien wollen, gering. Pressemitteilungen in einfacher Sprache werden aber auch von Journalisten verstanden, die nicht „vom Fach“ sind.
Auch Leser, die nicht „vom Fach“ sind, verstehen Pressemitteilungen in einfacher Sprache Share on XFazit
Einfache Sprache erleichtert vielen Menschen die soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Teilhabe. In der Unternehmenskommunikation ist die einfache Sprache besonders sinnvoll, wenn das Unternehmen Produkte und Dienstleistungen für alle Menschen anbietet.
Mehr über einfache Sprache erfahren Sie in meinem Blog „Worte für Alle“.
Als Texterin arbeitet Clia Vogel hauptsächlich in der Unternehmenskommunikation. Sie entwickelt Websites, Blogs und Social-Media-Profile und schreibt Texte über Menschen, Kultur und Gesundheit. Wo immer es passt, nutzt sie die “einfache Sprache“, deren Regeln sie auch in Workshops weitergibt. Blog „Worte für Alle“
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